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Es kommt nicht auf das Meeting an, sondern auf die Bewegung
Von Alexandra Devon Kommt Ihnen eine der folgenden Situationen bekannt vor?
Sie gehen zu einem Gruppentreffen, da Sie das Thema interessiert. Wenn Sie das erste Mal da sind, stellen Sie fest, dass bereits jeder jeden kennt und ja jeder so fachkundig ist. Keiner macht sich die Mühe nach Ihrem Namen zu fragen und es interessiert auch keinen, warum Sie überhaupt gekommen sind. Während des Meetings trauen Sie sich nicht, etwas zu sagen (was im Übrigen niemand bemerkt). Am Ende gehen Sie dann niedergeschlagen nach Hause.
Jemand hat ein Treffen einberufen. Viele Teilnehmer kommen zu spät. Es gibt keine Tagesordnung, sondern man schneidet hier und dort mal ein Thema an. Das Treffen zieht sich in die Länge. Die Teilnehmer unterbrechen sich ständig. Einige wenige Teilnehmer haben das Sagen und der Rest wird ignoriert. Sie gehen mit Kopfschmerzen nach Hause.
Sie haben gerade Beziehungsstress, aber Sie müssen zu diesem einen Meeting. Keiner fragt Sie, wie es Ihnen geht. Die Tagesordnung wird festgelegt. Eine wichtige Entscheidung muss heute getroffen werden, die Teilnehmer sind sich aber uneins. Nach einer zehnminütigen Diskussion wird abgestimmt und Sie haben noch nicht mal ihre Meinung kundgetan. Die Entscheidung, die getroffen wurde, gefällt Ihnen nicht, aber damit müssen Sie jetzt leben. Die Mehrheit hat nun mal entschieden. Sie werden nach Hause gehen und nicht wieder kommen.
Die genannten Szenarien sind häufig anzutreffen, könnten aber vermieden werden. Irgendwo zwischen Robertâs Rules of Order und âTyranny of structurelessnessâ liegt eine Methode für Gruppentreffen, die die Teilnehmer nicht abschreckt, sondern Kreativität und Effizienz fördert.
Für viele von uns erfolgen âProzesseâ in der Gruppe (d.h. die Interaktion zwischen den Teilnehmern) nach dem Prinzip âVersuch und Irrtumâ. Wenn wir Entscheidungen in der Gruppe treffen, interessiert uns leider häufig nur das Endresultat, aber nicht der Weg, wir wir zu diesem gelangen. Uns ist nicht bewusst, dass dieser Prozess so viel angenehmer wäre (und das Resultat vermutlich auch besser), wenn wir nur in der Lage wären, Weg und Ziel besser zu vereinbaren.
In den Anfangsjahren dieser Zeitschrift [Kick It Over] waren unsere Meetings ein reines Chaos, da jeder durcheinander redete. Also haben wir halb aus Spaß, halb aus Verzweiflung einen âDiktator des Tagesâ ernannt, der uns durch das Meeting bringen sollte. Wir hätten uns viel Zeit und Mühe sparen können, wenn wir ein paar Dinge über die menschliche Natur gewusst hätten. Da wir in einer hierarchischen, vom Wettbewerb geprägten Gesellschaft aufgewachsen sind, haben wir bestimmte Fähigkeiten entwickelt, um in dieser überleben zu können. Diese Fähigkeiten erschweren es uns, eine neue Kultur zu schaffen, die auf anderen Werten basiert. Politik und Persönliches verbinden Zunächst einmal sollte man bei Meetings Zeit für âpersönlichen Austauschâ einplanen. Menschen kommen nicht nur zu Meetings um âDinge zu erledigenâ, sondern auch um sich auszutauschen. Man könnte z.B. vor Beginn des Meetings zusammen Essen gehen oder sich einfach unterhalten. Die Teilnehmer kommen sich so näher und es wird eine entspannte Atmosphäre geschaffen. Wenn neue Teilnehmer hinzugekommen sind, ist dies die beste Zeit, sie besser kennenzulernen, herauszufinden, warum sie gekommen sind, und sie herzlich willkommen zu heißen.
Selbst wenn man vor dem Meeting keine Zeit für so etwas hat, sollte man eine Art Ritual vor dem Meeting einführen. Dies muss nicht lange dauern, einige Minuten sind schon ausreichend. Hier können neue Teilnehmer sich vorstellen und erklären, warum sie hier sind. Leute, die sich bereits kennen, können kurz erzählen, wie ihr Tag war und wie es ihnen geht. Ein Freund von mir erzählte mir, dass dank dieser einfachen Übung Meetings viel effizienter und stressfreier ablaufen. Die Teilnehmer eines Treffens haben oft etwas auf dem Herzen und wenn man ihnen nicht die Möglichkeit gibt, darüber zu reden, können sie sich nicht konzentrieren. Außerdem umgeht man so die Gefahr, Teilnehmer unter Druck zu setzen, denen es aufgrund persönlicher Umstände nicht so gut geht. Wesentliches Meiner Erfahrung nach ist ein Moderator (im Gegensatz zum Diktator) notwendig für den reibungslosen Ablauf eines Meetings. Dieser Person wurde von der Gruppe beauftragt, eine Tagesordnung auszuarbeiten und dafür zu sorgen, dass diese eingehalten wird.
Die Moderatorrolle ist eine Machtposition, von daher ist es wichtig, in der Besetzung zu rotieren. Am besten wählt man einen Freiwilligen aus und vertraut darauf, dass sich keiner zu oft wählen lässt. Ein Protokollant ist ebenfalls wichtig, da das Protokoll als Aufzeichnung für diejenigen gedacht ist, die nicht anwesend sein konnten, oder als Erinnerung für diejenigen, die im Eifer des Gefechts Entscheidungen getroffen haben. Das Protokoll kann je nach Gruppe kurz oder ausführlich ausfallen. Ein weiterer Vorteil des Protokolls ist, dass man so die Entwicklung der Gruppe aufzeichnen kann. Tagesordnung festlegen Der Moderator sollte mit Stift und Papier in der Hand (oder Flip Chart an der Wand) nach Themen fragen, die auf die Tagesordnung sollen. So kann jeder an der Planung des Meetings teilhaben. Nach der Notierung der Vorschläge ist es wichtig zu entscheiden, ob man die Themen alle in einem Meeting besprechen kann. Falls man sich darauf einigt, dass es zu viele Vorschläge sind, kann der Moderator fragen (oder die Gruppe erklärt sich freiwillig dazu), welche Vorschläge man hinten anstellt. Dann legt der Moderator mit Hilfe der Gruppe die sinnvollste Abfolge der Tagesordnungspunkte fest. Er legt fest, wie lange das Meeting insgesamt dauern soll, und wie viel Zeit jeweils für ein Thema aufgewendet werden kann. Viele Gruppen setzen sich den Zeitrahmen so, dass am Ende noch Zeit für eine Evaluation bleibt. Hier kann man den Moderator und den Prozess an sich bewerten und überlegen, wie man den Ablauf noch verbessern könnte. Denken Sie daran, sich möglichst eng an den Zeitrahmen zu halten, auf den sich die Gruppe geeinigt hat. Der Moderator ist dafür verantwortlich, den Zeitrahmen neu zu setzen, falls es die Umstände erfordern.
Nach der Festsetzung der Tagesordnung stellt der Moderator (oder ein anderer Teilnehmer) die Themen vor. Der Moderator sollte dafür sorgen, dass sich jeder Teilnehmer jederzeit äußern kann. Am einfachsten ist es, wenn die Gruppe es selbst regelt, wer an der Reihe ist, zu sprechen. Sollte dies nicht der Fall sein, muss der Moderator dafür sorgen, dass die Teilnehmer in der Reihenfolge sprechen, in der sie ihre Hand gehoben haben.
Eine grundlegende Regel ist, dass jeder, der möchte, etwas zu einem Thema beitragen kann. Erst danach kommen die wieder an die Reihe, die bereits etwas gesagt haben. Ausschweifende Diskussionen zwischen zwei Personen sollten vermieden werden, da dies für den Rest der Gruppe abschreckend wirken kann. In größeren Gruppen, oder bei Männern, die dazu neigen, das Meeting zu dominieren, sollte zwischen männlichen und weiblichen Sprechern abgewechselt werden. Entscheidungen treffen Viele Gruppen treffen Entscheidungen, indem sie über eine Sache diskutieren (mehr oder weniger tiefgründig) und dann darüber abstimmen. So gut wie nie gibt es hierbei Einstimmigkeit, was dazu führt, dass einige Teilnehmer Entscheidungen mittragen müssen, die sie nicht gutheißen können. Dies wird dann Demokratie genannt. Ich möchte diese Vorgehensweise nicht als völlig schlecht abtun. Es gibt mit Sicherheit Situationen, in denen sie angebracht ist. Kleine Gruppen und Gemeinschaften gehören nicht dazu. Das Konsensprinzip teilt dagegen die Macht genau zwischen den Teilnehmern auf. Jeder Einzelne muss mit der Entscheidung zufrieden oder zumindest nicht vollkommen unzufrieden sein, bevor der Entscheidungsfindungsprozess weiter voranschreiten kann. Dies basiert nicht auf irgendeinem abstrakten Fairness-Modell, sondern auf dem âGlauben, dass jede Person einen Teil und niemand die komplette Wahrheit in sich trägt...und auf dem Respekt, der allen Teilnehmern entgegengebracht werden sollte, die an einer Entscheidung mitwirkenâ (Carolyn Estes, âConsensusâ in der Frühjahrsausgabe von Social Anarchism).
Diese Vorgehensweise erfordert Vertrauen zwischen den Gruppenmitgliedern und dauert länger als der demokratische Prozess. Außerdem dauert es etwas, bis man sich an diese Methodik gewöhnt, da man seine Standpunkte kundtun und erklären, aber auch die Standpunkte anderer in Betracht ziehen muss. Wenn die restlichen Teilnehmer anderer Meinung sind, muss man eventuell seine eigene Meinung noch einmal überdenken. Dies mag für uns anfangs seltsam erscheinen, da wir es gewohnt sind, unsere Meinung bis ans Ende zu verteidigen, da wir unbedingt im Recht sein wollen. Es erlaubt aber ein Geben und Nehmen, was normalerweise in Gruppenentscheidungen nicht so ausgeprägt ist. Sobald man sich einmal an das Konsensprinzip gewöhnt hat, ist es frustrierend, zu den alten Methoden zurückzukehren.
Das Konsensprinzip ist nicht neu. Es existiert schon seit Tausenden von Jahren und wird bzw. wurde unter anderem von Eingeborenen, Jesuiten (die es âCommunal Discernmentâ nannten), Quäkern, einigen Feministen und Bewegungen für sozialen Wandel angewendet. An dieser Stelle sollte man erwähnen, dass die meisten Gruppen, die das Konsensprinzip anwenden, auf irgendeine Art und Weise âGemeinschaftenâ sind: Darin liegt zugleich die größte Stärke des Konsensprinzips, aber auch seine möglichen Einschränkungen. Da ein hohes Maß an Vertrauen und Offenheit notwendig ist und da jeder Teilnehmer sich ausdrücken soll, wenn er denn möchte, bin ich der Meinung, dass die Größe der Gruppe und gemeinsame Werte eine Rolle spielen. Daher glaube ich nicht, dass eine Gruppe mit mehreren tausend vollkommen unterschiedlichen Persönlichkeiten dieses Prinzip effektiv nutzen könnte, da ein gewisses Maß an Vertrautheit und gemeinsamer Geschichte notwendig ist. Carolyn Estes widerspricht dem in einem Artikel über das Konsensprinzip, der kürzlich in Social Anarchism erschienen ist.
Der Moderator hat die große Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das Konsensprinzip in der Gruppe zum Tragen kommt. Es muss dafür sorgen, dass jeder, der etwas sagen will, dies auch letztendlich tun kann, er muss Vorschläge festhalten und gegebenenfalls neu formulieren, er muss das Meeting zusammenfassen und sicherstellen, dass jeder mit der endgültigen Entscheidung zufrieden ist. Dies erfordert Zeit und Geduld, dafür kann der Prozess aber sehr interessant sein und uns aufzeigen, dass man seine vorgefassten Meinungen ändern kann, ohne dabei seine Individualität oder Autonomie zu verlieren und wie man effektiv in einer Gruppe arbeiten kann. Wenn das Konsensprinzip nicht mehr funktioniert Im Falle von starken Meinungsunterschieden (die zweifelsohne auftreten werden), gibt es eine Reihe von Dingen, die man anwenden kann, um den Konflikt zu lösen. So wurde z.B. während eine Treffens einer Freien Universität vorgeschlagen, einen Anarchafeminismus-Workshop nur für Frauen einzuführen. Eine Frau in der Gruppe war gegen diesen Vorschlag, da sie glaubte, dass dies den Prinzipien einer Freien Universität widerspreche. Die Emotionen kochten über und auch nach einer Stunde Diskussion war noch keine Lösung in Sicht. Keine âSeiteâ wollte nachgeben. Letztendlich wurde ein Kompromiss von einem Gruppenmitglied vorgeschlagen, dem beide âSeitenâ nach einiger Zeit zustimmten. Wir hatten also eine Lösung und es gab weder Gewinner noch Verlierer. Und irgendwie hat die Gruppe etwas âdazugewonnenâ. Die Integrität der Gruppe wurde trotz der Meinungsverschiedenheit aufrechterhalten und ein Gruppenmitglied konnte (wenn auch mit Unterstützung) eine unbeliebte Meinung laut aussprechen, ohne Angst vor Folgen zu haben. Nach dem Meeting konnten wir uns trotz der Auseinandersetzungen die Hand reichen und ehrlich sagen, dass wir die Bedenken des anderen verstehen.
Für den Fall, dass ein Kompromiss nicht zustande kommen sollte, gibt es noch die Möglichkeit des âBeiseite stehensâ. Wenn ein oder zwei Teilnehmer einem Vorschlag nicht zustimmen und an der Abstimmung nicht teilnehmen wollen, können sie âbeiseite stehenâ um den Konsens nicht zu blockieren.
Sollten mehr Teilnehmer âbeiseite stehenâ kann dies ein Warnzeichen dafür sein, dass man mehr Zeit und mehr Input braucht.
Manchmal kann es vorkommen, dass ein Teilnehmer mit der Gruppe nicht warm wird. So hat er beispielsweise ständig das Gefühl, dass die Diskussionen in die falsche Richtung laufen. Falls dies öfter passiert, ist es möglich, dass die Person in der falschen Gruppe ist. Die betroffene Person sollte sich überlegen, ihre Energie in andere Projekte zu stecken.
Um zu vermeiden, dass dies erst realisiert wird, nachdem sich die Gruppe schon zusammengefunden hat, sollte man sich bereits am Anfang klar werden, was man erreichen möchte. Das ist natürlich ein Idealszenario und schwierig zu realisieren. Es könnte aber hilfreich sein, wenn es darum geht, neue Mitglieder in eine Gruppe zu integrieren, in der es schon ein hohes Vertrauenslevel gibt. Die Quäker haben diesen Prozess etabliert, um Teilnehmern den Einstieg in größere Vorhaben zu erleichtern.
Zu diesem Thema gibt es natürlich noch viel mehr zu sagen und zu schreiben. Auch wenn ich immer noch dazu lernen muss, fand ich es richtig, dieses Thema einfach mal ansprechen. Ich bin der Meinung, dass es wichtig ist, nicht nur zu wissen was wir tun, sondern auch wie wir es tun. Leider sind die meisten von uns in einer Kultur aufgewachsen, die uns seit unserer Kindheit gelehrt hat, den Prozess nicht bewusst zu erleben, sondern unbewusst Autorität, Elitedenken, Wettbewerb und Sexismus zu fördern.
Neue Interaktionsformen zu finden, bedeutet, dass wir die Machtlosigkeit, den Wettbewerb und die Angst vor Konflikten ablegen müssen, die wir oft verspüren, wenn wir in Gruppen arbeiten.
Jane Mansbridge schreibt in Workplace Democracy and Social Change, dass der âwahre Grund, warum Leute Hierarchie tolerieren, der ist, dass sie dann nicht auf einem authentischeren und emotionalerem Level kommunizieren müssenâ. Daher sind die Prozessfähigkeiten für uns, d.h. für Menschen, die etwas bewegen wollen, in zweierlei Hinsicht wichtig: Einerseits verstehen wir so die Abläufe besser, auf der andere Seite erkennen wir dadurch, dass sie Welt, die wir verändern wollen, nicht nur âda draußenâ ist, sondern genau zwischen uns.
Vielen Dank an Taylor, meine Frauengruppe und die Gemeinschaft der Freien Universität, wo ich lernen und erfahren durfte, auf mehr als eine Art zu leben. (CX4716)
Veröffentlicht in Kick It Over! #16 und im Connexions Digest Band 12, Nummer 1.
Siehe auch Ulli Diemers Antwort auf diesen Artikel: Eine Stimme für die Demokratie
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