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Revolutionärer Optimist
Ein Interview mit Martin Glaberman
(15. Januar 2000) Martin Glaberman bezeichnete sich selbst als einen âžaltmarxistischen Johnsonitenâ. Johnson ist das Pseudonym des westindischen Marxisten C.L.R. James, unter dem er in den Vereinigten Staaten lebte. Glaberman gehörte zu der Tendency, die James im Jahre 1941 zusammen mit Raya Dunayevskaya gegründet hatte. Er arbeitete mit James bis zu seinem Tod 1989 zusammen. In dieser Zeit publizierte Glaberman unter andrem Correspondence, Speaking Out und Speak Out. Er arbeitete 20 Jahre lang als Automobilarbeiter, wo er Betriebsratsvorsitzender, Komitee-Mann und lokaler Gewerkschaftsführer war. Er ist emeritierter Professor für Sozialwissenschaften am College of Lifelong Learning der Wayne State University in Detroit. Außerdem schrieb Glaberman zahlreiche Artikel und Pamphlete sowie einige Bücher, darunter Wartime Strikes. Zu seinen letzten Werken gehört Working for Wages (zusammen mit Seymour Faber geschrieben) und Marxism for our Times: C.L.R. James on Revolutionary Organization (herausgegeben von Glaberman). Das folgende Interview wurde am 15. Januar 2000 in Glabermans Apartment in Detroit geführt.
F: Sie waren Mitglied der Young People`s Socialist League und der Socialist Workers Party. 1940 splittete sich letztere auf und sie traten der von Max Schachtman neu gegründeten Workers Party bei. Kurz darauf entstand die Minderheiten-Tendency mit C.L.R. James und Raya Dunayevskaya. Können Sie erklären wie es dazu kam?
Ich trat der Young People`s Socialist League bei, als ich 13 Jahre alt war. Das heißt so früh wie möglich. Ich komme aus einer sozialistischen Familie. Einer wirklich traditionellen und sehr sozialistischen Familie. Ich ging zur lokalen Zentrale der Socialist Party, trat bei und bewegte mich immer weiter nach links, als plötzlich mehrere Dinge passierten. Wir befanden uns gerade mitten in der Depression. Die Trotzkisten traten der sozialistischen Bewegung bei und als sie wieder gingen, ging ein Großteil der Young People`s Socialist League mit. Ich war in der Young People`s Socialist League, die zu diesem Zeitpunkt Teil der trotzkistischen Bewegung war.
Als 1939 der Krieg ausbrach und die Sowjetunion in Polen und Finnland einfiel, war die traditionelle Position der Trotzkisten, die Sowjetunion zu unterstützen. Dies stellte für eine kleine, aber maßgebliche Minderheit ein Problem dar und da man sich hinsichtlich der Verteidigung der Sowjetunion nicht einig wurde, entschied man sich für eine Trennung. Die meisten Jüngeren schlossen sich Shachtman und der Minderheit der Partei an. Insgesamt gesehen war es zwar eine Minderheit, allerdings befanden sich einige Führungspersönlichkeiten (auch James) darunter. Nachdem sich die Trennung vollzogen und die Workers Party sich organisiert hatte, stellte sich die Frage nach der Sowjetunion. Wieder warf die traditionelle Position, dass die Sowjetunion ein degenerierter Arbeiterstaat sei, Fragen auf. Diese Diskussion wurde durch die grausame Rolle der Sowjetunion im Krieg, die Eroberungen, den Hitler-Stalin-Pakt etc. natürlich noch angeheizt.
In dieser Zeit begann sich die Johnson-Forest Tendency zu formen. Sie bestand aus C.L.R., Raya und noch einigen anderen. Zu der Zeit lebte ich in Washington D.C., wo ich meinen ersten Job für die Bundesregierung hatte. Zufälligerweise lebte Raya auch dort. Sie begann für uns Nachforschungen zu Russland in der Library of Congress zu betreiben. Raya kannte sich gut mit Russland und wirtschaftlichen Dingen aus. Die große Mehrheit der Workers Party unterstützte Shachtman in der Hinsicht, dass die Sowjetunion ein bürokratischer Anhänger ist. Ein kleiner Teil war weiterhin der Meinung, dass sie ein degenerativer Arbeiterstaat ist, auch wenn sie dafür waren, Russland im Krieg nicht zu unterstützen. Wir entwickelten die Idee, dass die Sowjetunion eine staatskapitalistische Gesellschaft sei.
Bei der ersten Versammlung hatten wir eine Stimme. Wir hatten eine Abteilung in Washington, die sich 50/50 aufteilte. Ich vertrat die Johnson-Sichtweise und hatte somit eine halbe Stimme, während jemand anders die andere halbe Stimme hatte. Dies war die Johnson-Forest Tendency.
Die Russland-Frage wurde immer mit einer ziemlichen theoretischen Ernsthaftigkeit angegangen. Ein Punkt war von Anfang an (und das Faszinierende ist, dass Leute wie Paul Buhle dies nicht wussten und andere überrascht waren, als sie es hörten), dass es nicht nur eine Theorie des russischen Staates ist, sondern eher eine Theorie einer Phase im Weltkapitalismus. Manches davon wurde erst später entwickelt (nachzulesen in State Capitalism and World Revolution), aber wir waren ja erst in den 40er Jahren und es war zumindest ein Anfang. Was mich schon immer verblüffte - und die oberflächliche Ansicht bestätigte, dass die Sowjetunion ein bürokratischer Anhänger ist â war die Tatsache, dass man eigentlich nicht viel mehr erfuhr als den bloßen Namen.
Ursprünglich war der Gedanke, dass die Sowjetunion zwar progressiver als der Kapitalismus ist, aber nicht so progressiv wie der Sozialismus oder Arbeiterstaaten. Dann wandelte sich allmählich der Gedanke dazu, dass bürokratischer Kollektivismus genauso reaktionär wie Kapitalismus ist und nach Max Shachtmans Rechtsschwung (er landete schließlich bei der Demokratischen Partei und unterstützte den Vietnamkrieg) wurde der bürokratische Kollektivismus reaktionärer als der Kapitalismus. Was ist das denn für eine Theorie, wenn es nichts Konstantes gibt, außer die Tatsache, dass sie sich alle Jahre verändert?
F: Ende der 40er Jahre war die Workers Party mit der SWP am Verhandeln, um wieder dieser beizutreten. Dies geschah zwar nicht, aber die Johnson-Forest Tendency ging für etwa 5 Jahre zur Socialist Workers Party zurück. In dieser Zeit wurden einige sehr interessante Dokumente geschrieben â wie zum Beispiel The American Worker, James` Notes on Dialectics, State Capitalism und World Revolution. Könnten Sie mehr davon erzählen?
Da ging es eigentlich um mehrere Dinge. Zu dieser Zeit waren die Unterschiede in der Workers Party schon sehr groß. Es ging dabei um die Negro Frage. Sie wollten nicht die Meinung von C.L.R. akzeptieren, dass unabhängige schwarze Organisationen wichtig sind und nicht einer revolutionären Partei oder ähnlichem untergeordnet sein sollten. Als der Krieg zu einem Ende kam, entwickelten wir Unterschiede in der Natur der Gesellschaft. Die Workers Party wurde von einer Reihe von Deutschen im Exil beeinflusst, die eine Theorie der Regression entwickelt hatten: Durch den Krieg und Faschismus habe sich der Kapitalismus zurückentwickelt, so dass man nicht über Sozialismus sprechen kann, sondern erst mal wieder über Bürgerrechte, demokratische Rechte usw. Wir sprachen über die revolutionäre Perspektive in Europa. All das führte zu dem Konzept, dass die amerikanische Arbeiterklasse sehr viel revolutionäres Potential hat. Die Workers Party hat dies klar abgestritten.
Die Tatsache, dass die Verhandlungen am Laufen waren, zeigten die Möglichkeit einer Fusion zwischen der SWP und außerdem existierte noch ein Pamphlet von Cannon, in dem die revolutionäre Perspektive für die amerikanische Arbeiterklasse dargelegt wurde. Am Ende lief es auf nichts hinaus. Die Organisation als Ganzes konnte die Sache nicht zu Ende führen. Wir diskutierten drei Monate lang und konnten in diesem Zeitraum unabhängig sein und veröffentlichen, was wir wollten. Es war klar, da wir selbst publizierten und jeder verstand, dass unsere unterschiedlichen Ansichten, was die Sowjetunion betraf, bestehen bleiben würden. Zu der Zeit veröffentlichten wir The American Worker und gaben ein wöchentliches Bulletin heraus. Dann traten wir der SWP bei. Wir wurden sehr wohlwollend aufgenommen, da die Partei Probleme mit schwarzen Arbeitern außerhalb der Organisaton bekam. Sie waren unglücklich mit der Haltung, die die Partei an den Tag legte und außerdem auch mit dem Umgang mit den schwarzen Arbeitern. C.L.R. hielt eine wichtige Rede zu diesem Thema, die sehr begrüßt wurde, am Ende handelte es sich bei der Unterstützung aber eher um Lippenbekenntnisse.
Ich erinnere ich daran, dass ich nach New York gegangen bin, um für eine Zeit lang eine Art Sekretär für die Gruppe zu sein. Meine Frau und ich wolllten so schnell wie möglich wieder weg aus New York, da das politische Leben dort ziemlich eingewachsen war. Dann bekamen wir endlich die Möglichkeit nach Flint zu gehen. Ich fand einen Job bei Buick und bereits kurz darauf musste ich feststellen, dass der Kampf für die schwarzen Arbeiter nur ein Lippenkenntnis gewesen ist. Dies spiegelte sich in einem Vorfall wider.
Da war dieser Schwarze, der ein Mitglied der Abteilung war und ebenso Vorstandsmitglied eines Chevrolet Lokals. Er fuhr für ein Meeting nach New York und lernte dort eine weiße Genossin kennen. Sie verliebten sich in einander und wollten heiraten und nach Flint zurückkehren. Was dann passierte, spiegelt genau die Grenzen der politischen Handlungsweise der Partei wider. Keiner sagte, dass sie nicht heiraten könnten und auch keiner sagte, dass sie nicht nach Flint zurückkehren könnten, sondern man erklärte ihm, dass, wenn er eine Weiße mitbringen würde, niemals mehr in den Vorstand bei Chevrolet gewählt werden würde. Dies überzeugte ihn letztendlich und die Affäre ging in die Brüche. Die Partei stand also nicht zu 100% hinter der Idee, dass sich die Rassenzugehörigkeit der Klassenzugehörigkeit unterzuordnen habe und dass es keine Vorurteile in der Arbeiterklasse geben sollte. Wie schon erwähnt sagte keiner âneinâ, aber sie machten es ihnen auf keinen Fall einfach.
Wir arbeiteten weiter an unseren Ideen. Die Schrift zur Dialektik wurde veröffentlicht, als wir zur SWP gehörten, und wurde im Geheimen weitergegeben. Zu dieser Zeit hatten wir noch keine Kassettenrekorder oder Kopiergeräte. Was einen wirklich verrückt machen konnte, war, wenn man es abtippen musste. Wir nahmen die dünnste Zwiebelhaut, die wir finden konnten und machten Kopien. Wenn man Pech hatte und die siebte oder achte Kopie bekam, hat man wirklich Mühe beim Lesen!
Ich arbeitete bei Buick. Die Kopien kamen und wir lasen die ganze Nacht. Es war fantastisch. Ich denke nicht, dass jemand anders es erwähnt hat, aber ein Kapitel beschreibt tatsächlich auf eine abstrakte Weise was acht Jahre später während der ungarischen Revolution passieren sollte: Es gab keine Avantgardepartei, sondern nur die Arbeiterklasse, die als eigene Partei oder Organisation agierte. Eins der Dokumente, das in dieser Übergangsperiode veröffentlicht wurde, analysierte die Erfahrungen der Workers Party. Dann gab es noch ein anderes Dokument (The Balance Sheet Completed), das viel dünner und bereits vervielfältigt war. Es machte viele Leute unglücklich, da es nicht dieselbe geradlinige politische Qualität wie das The Balance Sheet hatte. Es ging viel um Fragen zum Lifestyle oder pesönliche Korruption in der SWP. Ich würde es gerne irgendwo veröffentlicht sehen, da es unsere Trennung von der SWP erklärt, die sich unglücklicherweise zeitgleich mit der Ausweisung von C.L.R. aus den USA ereignete.
F: Nachdem Sie die Socialist Workers Party verlassen hatten, begannen Sie, den Correspondance zu veröffentlichen. In den 50er Jahren war es schwierig, linkspolitisch aktiv zu sein und 1955/1956 kam es zu einer Trennung in der Gruppe, die News&Letters produzierte. Dann kam die Ungarische Revolution. Sie schrieben ein Buch (Facing Reality), das der spätere Namensgeber der Organisation nach einer weiteren Trennung wurde. Dieses Mal in Zusammenarbeit mit Grace Boggs, einer der Anführer der Tendency. In den 60er Jahren hatten Sie in Detroit Kontakt zu ein paar Leuten, die später Teil des Detroit Revolutionary Union Movement und der League of Revolutionary Black Workers waren.
In beiden Büchern, die von der DRUM handeln, wird erwähnt, dass ich eine Klasse von Leuten unterrichtet habe, die später Führer der League of Revolutionary Black Workers wurden. Der ursprüngliche Kontakt wurde durch George Rawick hergestellt. Er war nach Detroit gekommen und hatte einen Job bei der Wayne State angenommen. Ein paar der Jungs waren in seinen Klassen. Durch sie und George wurde dann schließlich der Kontakt zur Gruppe hergestellt. Es kam immer wieder zu Reibereien. Fakt ist, dass, wenn es um die schwarze Bewegung im Allgemeinen ging, eine klare maoistische Orientierung zu erkennen war. Ich bin mir nicht sicher wie stark unser Einfluss war. Ich glaube nicht so groß. Aber es gab definitiv einen gegenseitigen Einfluss. Was sie dort taten, hatte definitv Einfluss auf uns. Es passte perfekt zu unsrer Vorstellung vom Kampf der Schwarzen und der Arbeiterklasse. Gute Beziehungen bestehen bis heute, auch wenn man nicht mehr so viel Kontakt hat. Als ich kürzlich für eine Signierstunde in New York war, traf ich die Vorsitzende des Meetings, die früher Mitglied von DRUM gewesen war. Sie erinnerte sich daran und freute sich über das Wiedersehen. Dennoch unterstützte sie uns mit Beiträgen für den Correspondance, finanzielle Hilfe und so weiter. Das ist etwas, was ich einfach nicht verstehen kann.
F: Facing Reality löste sich 1970 auf. Zu dieser Zeit gründeten Sie Bewick Editions, um weiterhin Phamplete und Bücher von C.L.R. James veröffentlichen zu können. Außerdem arbeiteten sie auch für andere Zeitungen wie zum Beispiel Radical America. Eine Sache die ich von James mitnehme ist, dass die Linke die Arbeiterklasse als passive Konsumenten von radikalen Ideen sehen: die Linke geht zu der Arbeiterklasse mit einer Schachtel voller Seifen und fragt: âMöchtet ihr diese Seifen haben? Sie sind um 10% reduziert oder sie machen die Sachen extra weiß.â Und nun sollen die Arbeiter sich entscheiden. James und die Tendency, zu der du auch gehörst, glaubten, dass die Arbeiterklasse keine passiven Konsumenten sind, sondern dass sie ihr Schicksal selbst bestimmen. Jetzt wo wir uns am Anfang eines neuen Jahrhunderts wieder finden, was denken Sie ist das Vermächtnis von James?
Dies ist eine sehr komplizierte Frage und ich bin nicht sicher ob ich eine befriedigende Antwort darauf geben kann. Jeder in der trotzkistischen und marxistischen Bewegung wusste, dass das Proletariat der Schlüssel war. Dies war für Marx fundamental. Dies konnte man aber sehr unterschiedlich interpretieren, zum Beispiel eben auch so, dass das Proletariat eine Avantgardepartei braucht, um sie zur Revolution zu führen. Wenn wir über das Wesen der Sowjetunion diskutierten, ging das auch immer auf die fundamentalen Überzeugungen von Marx zurück. Eins meiner Lieblingszitate findet man in einem eher bekannten Buch: In dem Buch, von dem drei Kapitel unter Socialism: Utopian and Scientific (Engels) neu veröffentlicht und millionenfach verkauft wurden. Laut Engels geht die allgemeine Tendenz des Kapitalismus hin zu Staatseigentum und Kontrolle und laut ihm ist Staatseigentum aber nicht weniger kapitalistisch. Die Arbeiter werden dann eben von Staatskapitalisten ausgebeutet.
Es gibt einen schon etwas älteren Artikel aus einem anderen Buch, in dem Marx sagt, dass man neue Leute braucht, um eine neue Gesellschaft zu schaffen. Neue Leute werden aber durch aktives Handeln geschaffen und wir brauchen eine Revolution nicht nur weil man die herrschende Klasse nur mit einer solchen stürzen kann, sonder auch weil man so die Leute dazu bringen kann, sie herbeizuführen. Sie werden dann in der Lage sein, eine gewisse Gesellschaft zu gründen. Das ist ganz klar das Gegenteil von dem, was die meisten Marxisten denken. Die meisten Marxisten sind der Meinung, dass man die Menschen ändern muss. Man mus sie überzeugen und dann kommt es zu einer Revolution. Marx sagt aber man braucht eine Revolution und diese wird die Menschen verändern.
Wir gingen alle in die Arbeiterklasse. Ich arbeitete nach der Trennung von der SWP in Washington. Bei der ersten Trennung blieben die meisten Mitglieder der Arbeiterklasse bei der SWP, so hatte diese Mitarbeiter in der Automobilbranche, Teamster in Minneapolis-St. Paul etc. Als wir nach Detroit gingen und dort eine Abteilung eröffneten, arbeitete ich in einer Fabrik. Man kann zwar jetzt nicht mehr sagen was zuerst kam, aber die Ideen aus James Gruppe und die Erfahrungen in der Fabrik hatten zusammen einen Einfluss, den sie einzeln nicht gehabt hätten.
Ich erinnere mich an einen Afroamerikaner names Morgan Goodson, den ich eingestellt habe und der in Alabama in einer Stahlfabrik gearbeitet hatte. Er war einer überzeugter Gewerkschaftler und effizienter Organisator, aber er sagte, er könne nicht mehr in der Stahlindustrie arbeiten. Wenn sie ihn für irgendetwas gebraucht haben, haben sie ihn einfach aus der Fabrik geholt. So verlor er Zeit, aber er bekam nie den Titel und die Position, die dieses Handeln gerechtfertigt hätte. Also suchte er sich einen Job in der Autoindustrie. Wir stellten ihn ein und entschieden, dass wir eine Gruppe in seiner Fabrik bräuchten. Drei von uns bewarben sich und wir wurden alle genommen. Ich war sehr zufrieden. Es handelte sich um eine große Fabrik und ich arbeitete in der Fabrik südlich der Straße und die anderen beiden nördlich davon.
Wenn man sechs Monate dort arbeitet, kann man sich zur Wahl aufstellen lassen. Ich ließ mich als Komitee-Mann aufstellen und wurde gewählt. Einer der beiden anderen sagte, er hätte gewählt werden müssen, da er Arbeit mehr als der andere hasse. Der andere, Sammy Fishman, ein Arbeiterkind aus New York, stimmte dem zu. Sam wurde später Chef der Michigan CIO, also ein Bürokrat. Er hat somit seine Lektion gelernt.
Die Tatsache, dass man also in einer Fabrik arbeitet und mit Arbeitern zusammenlebt, heißt also nicht, dass man irgendwas lernt. Wenn du sowieso der Meinung bist, dass du nichts lernst, wirst du lehren. Dies ist eine eigennützige Haltung. âNaja ich hasse meinen Job, ich bringe ein Riesenopfer. Wenn ich ein Komiteee-Mann wäre, wäre ich sofort weg.
Es geht aber um mehr. Man lernt einen gewissen Respekt für die Arbeiterklasse und dafür, was sie tun. Es ist nämlich nicht einfach. Ich kann mich erinnern, als ich nach Flint kam, habe ich zuerst bei Buick gearbeitet und. Ich wurde eines Winters entlassen und suchte nach einem Übergangsjob. âWas kann ich denn?â Ich war ein radikaler Journalist und kannte mich in diesem Bereich aus. Ich suchte in Stellenanzeigen, aber das Problem war, dass ich keine Referenzen hatte. Wie sollte ich also an einen Job kommen? Dann begann ich zu realisieren, dass eine simple Tatsache dich ganz anders über deine Arbeit denken lässt: Das hier wirst du den Rest deines Scheißlebens machen. Dinge, die eigentlich so einfach erscheinen, weil es nur simple Statements sind, sind nicht mehr so einfach, wenn man dort den Rest seines Lebens verbringen muss. Man kann es sich nicht erlauben, zu lange von der Arbeit wegzubleiben, weil dann die Familie verhungert.
Aber noch einmal. Man lernt das nicht automatisch, denn wenn man reinkommt und von dem Gedanken befallen ist, die Arbeiter aus ihrer Ignoranz herausholen zu müssen, merkt man solche Dinge erst gar nicht.
Es gibt keine einfache Antwort, aber ich denke es ist eine Kombination daraus, für 20 Jahre in der Arbeiterklasse zu sein, niemals vorzutäuschen, ein Arbeiter zu sein und zur gleichen Zeit gewisse fundamentale Ideen und Prinzipien zu haben, die es einem ermöglichen, die Leute in einem bestimmten Licht zu sehen. Nachdem wir aus Flint zurückgekommen waren, lebten wir in einem Arbeiterviertel im Westen von Detroit. Meine Frau arbeitete bei einem Automobilzulieferer (Automotive Spring), etwa sechs Stunden von dort entfernt, wo wir waren. Sie stellten kleine Federn für Türklinken her und produzierten außerdem für die Big Three.
Das ist faszinierend, aber man muss wieder wissen, wonach man eigentlich schauen muss. Die meisten der Produktionsarbeiter waren weiblich. Die meisten der Maschineneinrichter waren männlich und in der Firma waren keine Gewerkschaften präsent. Es wurde immerhin drei Mal versucht, die Mitarbeiter zu organisieren, unter anderem von Teamstern und der UAW, aber es gelang ihnen nicht. Meine Frau und ich redeten darüber und sie beschrieb es als eine ziemlich unkomplizierte Situation. Jeder, der dort angestellt war, war bereits selbst einmal organisiert gewesen oder hatte einen Ehemann, der Gewerkschaftsmitglied gewesen war. Sie wussten also um was es ging. Sie waren keine Gewerkschaftsgegner von einer Farm aus dem Süden oder sowas. Die Arbeiter wussten hingegen, dass zwei Dinge passieren würden, wenn die Gewerkschaft kommt: Sie würden höheren Lohn bekommen und die Arbeitsgeschwindigkeit würde sich beschleunigen. Das war der Kompromiss in den Big Three. Man bekommt Sozialleistungen außerhalb des Arbeitsplatzes, aber die Arbeit wird schlechter. Sie haben einfach entschieden, dass, da es ja Frauen sind, diese mit einer weiteren Lohnzahlung zufrieden wären. Es wurde angenommen, dass es in der Familie noche in weiteres Haupteinkommen gibt, aber egal ob dem so ist oder nicht, sie würden lieber auf demselben Level wie vorher weiterarbeiten und auf eine Lohnerhöhung verzichten. Sie stimmten gegen eine Gewerkschaft. Jetzt ist das eine reaktionäre Position. Wie kann man gegen eine Gewerkschaft sein? Wenn man dann aber versucht, herauszufinden warum die Leute so denken, darf man auf keinen Fall so voreingenommen sein und alles als falsch empfinden , mit dem man nicht selbst übereinstimmt. Es hat durchaus Sinn, dass die Leute so entscheiden. Auch zeigt es die Grenzen der Gewerkschaftsbewergung auf, die die alte Linke nie begriffen hat. Die Organisation in einer Gewerkschaft ist ein uneingeschränkter Pluspunkt, richtig? Unter normalen Umständen würde ich sagen ja, man muss aber auch die Widersprüche und so weiter verstehen.
F: Einige von uns sind Mitglieder in kleinen sozialistischen Organisationen. Können sie etwas über das Organsieren im heutigen Kontext sagen?
Zunächst einmal hat jeder das Recht auf politische Ideen und darauf, sich für seine eigenen Zwecke zu organisieren., solange man nicht annimmt, die nächste Revolution anzuführen. Dafür sollte man so viel Kontakt wie möglich zur Arbeiterklasse haben. Das ist aber auch schwierig. In den 40er Jahren gingen alle in Fabriken. Ich kann mich noch an Greenberg erinnern, der ein begnadeter Musiker war und in einer Fabrik endete. Er ging dahin, weil er es machen sollte und es war einen regelrechte Verschwendung. Was sollte er denn in einer Fabrik schon machen? Nichts. Vor allem nicht auf der Parteilinie. Er hätte als Musiker was zur Gesellschaft beitragen können. Nicht zur Revolution direkt aber indirekt.
Die Idee dahinter war, dass du durch deine Aktivitäten Opfer bringst. Wenn dem so ist, dann ist es falsch. Natürlich bringt man auf irgendeine Art ein Opfer, man nimmt ja Risiken auf sich. Man verliert seinen Job, wenn man sich dafür entscheidet, ein Radikalist zu sein, aber grundsätzlich sollte deine politische Aktivität deine Menschlichkeit bekräftigen. Es sollte deine Menschlichkeit repräsentieren. Es hängt davon ab, wo du dich gerade befindest. Wenn du auf einem College Campus arbeitest, dann bist du eben da. Die Vorstellung, dass du einen wesentlichen Unterschied für die Arbeiterklasse machen wirst, nur weil du in einer Fabrik arbeitest, ist absurd. Dass du als Intellektueller die Arbeiter bei ihren Streiks unterstützen kannst, ist klar. Ich denke, dass ganz konkret ein bestimmter Druck wichtig ist. Auch wenn es nur mit einem kleinen Newsletter beginnt, der Ideen teilt und diskutiert und Erfahrungen präsentiert. Einfluss! Sie versuchen. Ich denke, dass man als Individuum nicht so viel Einfluss hat, aber ich habe langsam das Gefühl, dass ein Haufen von diesen Leuten im ganzen Land, ja auf dem ganzen Kontinent verteilt ist. Sie stehen nicht zwingendermaßen in Kontakt miteinander. Sie kennen sich nicht einmal, aber es gibt definitiv einige von ihnen.
Was nicht wirklich involviert ist, ist die bürgerlich, aber dafür die historische Zeit. Es gab mal eine Theorie in der Soziologie, dass die Arbeiterklasse wirklich rückständig ist, da sie von sofortigen Erfolgserlebnissen abhänge. Meiner Meinung trifft das aber auf die Mittelklasse zu: Die Arbeiterklasse hat seit drei Wochen nichts gemacht. Mein Gott, vergesst es! Die Revolution ist vielleicht 30, 40, 50 Jahre entfernt. Wenn ihr das nicht verstehen wollt...Dieses Denken führte unter anderem zum Niedergang der Neuen Linken.
Sie wollten die Welt ändern, aber die Welt ließ sich nicht so sehr ändern. Gut dann studiert man eben Jura oder schlägt eine akademische Laufbahn ein. Ich weiß nicht wo man diesen Sinn lernt, ich weiß nur, dass ich ihn schon immer hatte. Sie finden es heraus oder eben nicht. Es gibt zu viel Gutes im Marxismus, als dass man sagen könnte: âžNun, das beweist jetzt, dass Marx falsch lag.â
Du hast eine historische Sichtweise und einen Sinn für die Arbeiterklasse, ganz egal ob du dazu gehörst oder nicht. Ich werde nicht sagen, dass jeder in die Arbeiterklasse gehen muss. Es muss einen Weg geben, wie man miteinander kommunizieren kann, also die Gesellschaft als Ganzes mit der Arbeiterklasse. In beide Richtungen. Nicht indem man dem anderen Unterricht erteilt, sondern auch durch Lernen. Was passierte in Seattle? In diesem wilden Streik? Warum? Wie? Die Menschen müssen es lernen und die Arbeiter auch. Auf einer Ebene tun sie es auch. Die Arbeiter sind ja nicht doof. Sie lesen Zeitung, schauen die Nachrichten an. So verzerrt es auch sein mag, sie wissen, dass zwei Fabriken in Flint dicht gemacht haben und dass GM in Nordamerika nach einigen Wochen zumachen musste. Dies ist eine enorme Macht, über die man sonst nicht nachdenkt, wenn man jeden Tag seinen Arsch aus dem Bett bewegen und zur Arbeit gehen muss. Das ist Teil des Arbeiterbewusstseins. Du weißt es, auch wenn du nicht die ganze Zeit darüber nachdenken kannst, weil dich das verrückt machen würde. Ich denke vieles ist einfach nur Experimentieren. Man tut was man kann und man hat dann, was man getan hat. Manches funktioniert und manches nicht.
Das Problem ist jetzt, dass jeder weiß, dass wir gerade eine konservative Periode durchmachen. Ich denke nicht, dass es eine konservative Periode ist. Ich denke, dass die Regierung konservativ geworden ist. In den Vereinigten Staaten geht die Hälfte der Bevölkerung (oder sogar noch mehr) gar nicht zur Wahl. Nicht weil sie rückständig sind, sondern weil sie zynisch sind und ich denke sie haben ein Recht darauf. Sie sagen: Da gibt es für uns nichts zu holen. Und damit kann man arbeiten.
Für mich ist die Situation explosiv, die Arbeiter sind nämlich nicht rückschrittlich. So wird es aber nicht immer bleiben, denn die Situation ist unsicher und ich weiß nicht wie es ausgehen wird. Aber wie werden da nicht einfach so rauskommen, nur weil Sweeney mehr Arbeiter organisieren wird. Das ist totaler Quatsch! Er war eigentlich sogar unfähig, mehr Arbeiter zu organisieren. Irgendwann wird etwas passieren. Ob ich das nun mitbekommen werde oder nicht, von mir wird es jedenfalls nicht abhängen.
F: Sie haben vorhin erwähnt, dass sie über 20 Jahre in Fabriken gearbeitet haben, aber niemals wirklich zur Arbeiterklasse gehört haben.
Ich habe nicht nur so getan, als wäre ich ein Arbeiter, sondern ich war wirklich einer. Ich bekam den gleichen Lohn und gerade in Flint gehörte jeder zur Arbeiterklasse. Aber als ich als Herausgeber keinen Job bekam, wurde klar, dass es Unterschiede gibt. Ich hatte keinen vernünftigen Lebenslauf. In diesem Winter kam ich schließlich durch Kermit Johnson an einen Job, der einer der Anführer der Sitzstreiks war.
Er wurde von GM auf die scharze Liste gesetzt und baute als Dachdecker an einer neuen GM-Fabrik. Er besorgte mir einen Übergangsjob und einen Gewerkschaftsausweis. Wenn so etwas passiert, realisiert man natürlich, dass es nicht dasselbe ist, ob man 10 Jahre am Stück in einer Fabrik arbeitet oder nur jeden Sommer und dann im Herbst zur Schule zurückgeht. Letzteres macht einen natürlich nicht zu einem Arbeiter in dem Sinne, dass Arbeiter darüber nachdenken müssen, wie sie leben und wie sie arbeiten.
F: Können Sie etwas über die heutige Situation der Linken und der Arbeiterklasse sagen. Viele der neueren Linken sehen keinen Sinn darin, Verbindung zu der Arbeiterklasse aufzunehmen, aber selbst die âälterenâ Linken haben oft keinen richtigen Kontakt mehr zu den Arbeitern.
Und vieles davon ist sehr sektiererisch. âDer noble Arbeiterâ. Sie sprechen dabei aber eigentlich nur über sich selbst. Manches davon ist sehr altmodisch. Es ist ein sehr traditioneller Marxismus. Die Arbeiterklasse ist aus zwei Gründen wichtig. Zunächst kann man über die Informationsgesellschaft sprechen, die der Produktionsgesellschaft gegenübersteht, aber eine Gesellschaft kann nunmal nicht ohne Nahrung, Kleidung, Wohnungen, Infrastruktur und Kommunikation existieren. Wenn man eine Schule schließt, schließt man eben eine Schule. Man wird rger erregen, aber das war es dann auch. Wenn man aber GM schließt, hat es gravierende Auswirkungen auf das Transportwesen. Wenn man ein Stahlwerk schließt, schließt man auch gleichzeitig Kohleminen.
Zweitens gibt es da noch etwas was mit der Natur der Arbeit kommt: Die Verfremdung. Leute widersetzen sich. Das trifft auf verschiedenste Arbeitsbereiche zu. Der Grad der Verfremdung eines Collegeprofessors wird nie derselbe sein wie der eines Fließbandarbeiters. So ist es nunmal. Das hängt auch nicht davon ab, ob jemand Proletarier wird oder nicht. Du kannst einen Collegeprofessor davon überzeugen, ein Sozialist und radikal zu sein. Du kannst einen Arbeitet natürlich auch davon überzeugen, aber er hat nicht dieselbe Auswirkung auf Tausende und Millionen von Menschen. Deshalb ist für mich das, was 1956 in Ungarn und 1968 in Frankreich passierte, so verdammt wichtig!!!
In Ungarn dauerte es zehn Jahre bis zum totalitären Staat. Wie konnte das passieren? Eine massive Demonstration um die Widerstandsbewegung in Polen zu unterstützen. Es kam zu Straßenkämpfen und innerhalb von 24 Stunden übernahmen die Arbeiter in Budapest die Kontrolle in Fabriken, Büros â den Produktionsmitteln â und gründeten Betriebsräte. Innerhalb von 48 Stunden hatte die Revolution ganz Ungarn erfasst. Nach ein paar Wochen wurde die Revolution unterbrochen, und zwar nicht durch eine Macht innerhalb Ungarns, sondern durch eine Invasion der russischen Panzer. In Frankreich, das ein ganz anderes Land ist: Demokratie, keine Depression, eine kommunistische Partei, eine sozialistische Partei, Gewerkschaften, Oppositionsparteien. Zehn Millionen Arbeiter übernahmen in 48 Stunden alle Fabriken in Frankreich. Wie konnte das passieren? Marx, Engels und Lenin hätten mitgemacht. Die Linke aber sagte: âžOh nein, sehr interessant, aber ihr habt ja gar keine Avantgardepartei. Deshalb haben sie auch verloren. So ein Schwachsinn! Wenn sie sich einer Avantgardepartei angeschlossen hätten, hätten sie es erst gar nicht gemacht. Weil nämlich der CP und die SP dagegen waren. Sie haben es letztendlich geschafft, sie aus die Fabriken zu bekommen und gestanden ihnen traditionelle Gewerkschaftsforderungen wie Lohnerhöhungen und so etwas zu.
Der Unterschied zwischen Ungarn und Frankreich war wesentlich. Am ersten Tag der ungarischen Revolution gab es klare Anzeichen dafür, dass das Militär kollabieren wird. In der ungarischen Armee gaben die Soldaten entweder ihre Waffen an die Demonstranten weiter, schlossen sich ihnen an oder gingen einfach weg. In Frankreich hingegen gab es keine Anzeichen dafür, dass das Militär geschwächt war. Später stellte sich heraus, dass De Gaulle einen seiner Panzerkommandanten, der in Deutschland war, gefragt hatte, ob er âždie Regierung unterstützen werdeâ. Dieser bejahte, De Gaulle kam zurück und hielt die Stellung. Und nichts passierte. Die Arbeiter waren nicht besiegt, aber sie sind nur so weit gegangen und dann haben sie sich zurückgezogen.
Eine Revolution ist vom Wesen her anders als eine Reform. Ich habe nichts gegen Reformen. Ich denke es sollte hier nicht ums Prinzip gehen, außer man ist für eine Reform, die einer Revolution gegenübersteht. Wenn aber Arbeiter keine Lohnerhöhungen bekommen, keine Gewerkschaften gegründet und kein Mitspracherecht in der Gesetzgebung erhalten hätten, wenn sie nicht für all das generationsübergreifend gekämpft hätten, dann würde es nie zu einer Revolution kommen. Worauf kann man diese These stützen. Nun auf die Tatsache, dass der Kampf unvermeidlich ist. Und ob es sich dabei um leichte Sabotagen handelt oder um den Fakt, dass man sich betrinkt, weil man den Gedanken nicht erträgt, am Montag zurück zur Arbeit zu müssen. Es ist immer noch Widerstand.
Was für die Bourgeoisie Widerstand hält, ist viel mehr als es für die Linke ist. Für die Bourgeoisie ist es bereits Widerstand, wenn man seinen Job hinschmeißt und woanders hingeht- Linke denkt da anders. Für die Linke ist Widerstand ein formales Übereinstimmen mit einer revolutionären Politik. Das ist doch Quatsch. Was die Linke mit Sicherheit nervös macht, ist, dass während der ungarischen Revolution die Leninstatuen niedergerissen wurden. Ich bin mir sicher, dass Lenin es gemocht hätte angesichts dessen, was die Statuen damals repräsentierten. Nämlich eine totalitäre Diktatur.
Darum ging es also bei den Streiken während der Kriegszeit. Die Idee, dass eine Mehrheit im Zweiten Weltkrieg dafür stimmen sollte, das Nichtstreikversprechen aufrechtzuerhalten und während die Wahl statt fand, trat eine absolute Mehrheit von Automobilarbeitern in den Streik. Also an was glaubten sie: An ein Nichtstreikversprechen oder an das Recht, in den Streik zu treten? Das ist einfach nur widersprüchlich. Sie glaubten, dass man ein Nichtstreikversprechen haben sollte, aber wenn der Vorarbeiter sie so sah, dann begannen sie zu streiken. Darum ging es Marx. Marx sagt, dass es egal ist was die Arbeiter denken, ja sogar was die ganze Arbeiterklasse denkt. Was wirklich zählt, ist wozu man sie zwingt. Sie werden dazu gezwungen, sich dem Wesen der Arbeit zu widersetzen.
Und es wird immer schlimmer. Jeder Bericht über die neue automatisierten Arbeitsabläufe, all das was ich aus der Autofabrik höre...Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Wenn mir jemand sagt, dass die Arbeiter darauf mit âžSuper, ich bin so gerne hierâ antworten. Ok, dann werde ich die Idee an eine Revolution aufgeben, aber soweit ist es lange noch nicht.
F: Wie sieht es denn mit Ihren eigenen Tätigkeiten aus?
Ich bin eigentlich meistens am Schreiben und herausgeben. Ich überlege, ob ich nicht vielleicht ein Buch über Rasse, Klassenzugehörigkeit und das Bewusstsein schreiben werde. Es ist nämlich sehr wichtig, die Idee, dass, solange die weißen Arbeiter noch rassistisch sind, nichts passieren wird, aus dem Weg zu räumen. Ich weiß ja nicht was man heute über die russischen Arbeiter von 1917 denkt. Sie waren sexistisch, nationalistisch und standen unter der Fuchtel der Kirche. Trotzdem haben sie eine verdammt gute Revolution hingekriegt, die sie dann langsam verändert hat. Ob es eine soziale Explosion gibt oder nicht, hängt nicht von formalen Haltungen oder dem Unterstützen von bestimmten Organisationen ab. Es mag sein, dass nichts passieren und alles scheitern wird und in diesem Fall kann ich nichts dagegen tun.
F: Letzte Frage: Wie bewerten sie das, was sich im November 1999 in Seattle abgespielt hat?
Ich denke es ist gut und wichtig. Ein mehr oder weniger unglücklicher Nebeneffekt war, dass der Vorfall die Gewerkschaften viel militanter darstellen ließ als sie eigentlich waren. Das wollten sie mit Sicherheit nicht! Sie befanden sich auf einmal mitten im Massenkampf und zogen sich wieder zurück.
Es gibt eine Menge Probleme die a) kniffelig zu lösen oder b) unlösbar sind. Wenn du ein Sozialist bist, arbeitest du international. Warum sollten mexikanische Arbeiter eigentlich nicht die gleichen Jobs haben. Sie sollten nicht nur ein Zehntel von dem bekommen, was ihre amerikanischen Kollegen verdienen...Aber als Komitee-Mann kann ich so nicht argumentieren. Ich kann nicht erzählen, dass gleiches Recht für alle gelten sollte. Dafür wurde ich nicht gewählt. Von daher kann nicht alles beeinflussen. So funktioniert nun mal die Bourgeoisie, so hat sie schon immer funktioniert. Das ganze Gerede um die Globalisierung ist seltsam. Es gibt keine Anzeichen für den Niedergang der Nationalstaaten. Vor allem nicht für den der amerikanischen Macht. Vieles von dem, was in Afrika passierte, resultierte aus der Unterstützung des amerikanischen Staates der eigenen Bourgeoisie.
Man muss es in den richtigen Kontext bringen. Marx hat darüber im Manifest der kommunistischen Partei geschrieben. Es ist nichts, was so einfach am Morgen mit der Sonne aufgeht. Wenn wir gerade davon sprechen. Erinnert sich noch jemand an den Satz âžim britischen Imperium geht die Sonne niemals unterâ? Das ist Globalisierung. Wo liegt der Unterschied? Den Unterschied macht nicht der Internationale Währungsfonds aus, sondern die koloniale Revolution. Die Globalisierung am Anfang des Jahrhunderts bestand daraus, dass die europäischen Mächte im Besitz von Kolonien waren und somit Kontrolle über die Märkte und Rohstoffe. hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es koloniale Revolutionen in Indien, Afrika usw. Was kam dabei heraus? Das Ergebnis war, dass diese Märkte und Rohstoffe für jeden zugänglich gemacht werden mussten. Dies erscheint wie ein Sieg des amerikanischen Imperialismus â denn wer hatte am Ende Zugang? Die Vereinigten Staaten. Die USA übernahmen die Macht von den Holländern in Indonesien, von den Franzosen im Mittleren Osten und ersetzten die Briten in Südamerika und der Karibik. Dieser Prozess wird immer so weiter gehen und zwar so lange wie der Kapitalismus existiert. Es ist keine geheime Verschwörung der Kapitalisten. Es passiert schon seit über 200 Jahren. Nur das ußere hat sich verändert. Wie geht man damit um? Das kommt ganz drauf an wo man steht.
Wenn du ein Fabrikarbeiter bist und die Arbeitsplätze nach Mexiko oder Thailand ausgelagert werden, hast du ein Problem. Wenn du aber ein Sozialist bist und über diese Dinge nachdenkst, heißt es für dich, dass das Proletariat in den unterentwickelten Ländern bald aussterben wird. Früher oder später wird es in diesen Ländern zu Widerstand kommen. Ich kann das den Arbeitern, die ich repräsentiere, nicht sagen, aber ich muss die Grenzen meiner Tätigkeiten anerkennen. Wenn sich jemand zur Wahl aufstellen lässt und dann sagt, dass âžer verhindern wird, dass Arbeitsplätze ausgelagert werdenâ, dann muss man das mit Vorsicht genießen. Man kann das nicht so einfach tun. Das soll nicht heißen, dass sie nicht mehr machen könnten, als es die offizielle Arbeiterbewegung getan hat. Denn diese hat im Prinzip nicht mehr getan, als nur die jungen Arbeiter zu verramschen und den Dienstältesten, die die Bewegung unterstützen, mehr zu zahlen. Du beschützt ihre Jobs und machst auf ihren Rücken Zugeständnisse an die Unternehmen.
Als ich in einer Fabrik arbeitet, bekam man nach 6 Monaten 10 Cent mehr pro Stunde als am Anfang. Im ersten Monat verdiente man einen Nickel und nach ein paar Monaten einen weiteren. Heute sind es ein paar Dollar pro Stunde. Also deutlich mehr. Das heißt, die Firma spart einige Jahre Geld an den jungen Arbeitern, bevor diese dann besser bezahlt werden. Die Gewerkschaften machen sich dies zunutze, um die Renten sowie die Löhne der dienstältesten Mitarbeiter zu erhöhen. Um ein Mitglied zu bleiben, opfert man also den Rest der Arbeiterklasse. Sogar die Arbeiter im Ruhestand verstehen den Unterschied.
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